Rechenschwäche

Auch wenn häufig von der Rechenschwäche gesprochen wird, ist anzuerkennen, dass die Schwierigkeiten mit dem Aufbau eines mengenbezogenen Zahlbegriffs so vielfältig sind, wie die Menschen selbst. Es gibt zwar einige Aspekte der Rechenschwierigkeiten, die häufig auftreten, doch treffen nie sämtliche Kriterien bei allen Kindern und Jugendlichen gleichermaßen zu.

Auch wenn häufig von der Rechenschwäche gesprochen wird, ist anzuerkennen, dass die Schwierigkeiten mit dem Aufbau eines mengenbezogenen Zahlbegriffs so vielfältig sind, wie die Menschen selbst. Es gibt zwar einige Aspekte der Rechenschwierigkeiten, die häufig auftreten, doch treffen nie sämtliche Kriterien bei allen Kindern und Jugendlichen gleichermaßen zu.

Hervorzuheben ist die Tatsache, dass bei rechenschwachen Kindern und Jugendlichen weder ein Mangel an Intelligenz oder Begabung vorliegt, noch Faulheit oder fehlender Wille zum Erlernen des Rechnens als ursächlich zu betrachten sind.

Für die Klärung der Frage, ob wir von Rechenschwäche, Dyskalkulie oder Rechenstörung sprechen, sollen folgende Hinweise ausreichend sein:

  • Ist das Ziel die Erlangung einer Finanzierung der Förderung durch die Jugendämter, ist der Begriff der Dyskalkulie mehr oder minder unvermeidlich (ggf. ersetzt durch entsprechende Fachbegriffe in den entsprechenden Erlassen der Landesregierungen).
  • Steht nicht der Weg der Finanzierung, sondern vor allem die Hilfe beim Kind im Vordergrund, ist es vollkommen ausreichend von einer Rechenschwäche oder rechenschwachen Kindern und Jugendlichen zu sprechen
Förderung bei Rechenschwäche-, Dyskalkulie oder Rechenstörung
Förderung bei Rechenschwäche-, Dyskalkulie oder Rechenstörung

Für uns zeichnen sich rechenschwache Kinder und Jugendliche dadurch aus, dass sie sich aufgrund ihres Unverständnisses für den Aufbau eines mengenbezogenen Zahlbegriffs häufig eigene Strategien erarbeiten oder Hilfsmittel nutzen. Diese sind als Kompensationsstrategien zu interpretieren und können z.B. im Raten von Ergebnissen, dem Aus- und Abzählen sowie dem mechanischen Anwenden von unverstandenen Algorithmen oder auswendig Gelerntem bestehen.

In unserer Arbeit grenzen wir uns deshalb mit der Förderung bei Rechenschwäche eindeutig von den durch das SGB VIII (§35a) finanzierten Dyskalkulie-Therapien ab, die zur Genehmigung den Nachweis einer bestehenden bzw. drohenden seelischen Behinderung bedürfen. Für diese Kinder und Jugendlichen, die häufig über mehrere „Baustellen“ verfügen und sich ggf. auch schon psychisch stark belastet fühlen, sind insbesondere Lerntherapien geeignet.

Die rechenschwachen Kinder und Jugendlichen verharren aufgrund ihres fehlenden Verständnisses für das Rechnen zumeist bei den sog. „zählenden Verfahren“. Deshalb beschränken sich ihre Erfahrungen i.d.R. auch auf den Zahlenraum bis zur 10. Dies entspricht dem Stoff der 1. Klassenstufe.

Mit zunehmender Komplexität der Rechenoperationen und des Zahlenraums scheitern sie immer mehr am Rechnen. Dies erklärt, warum rechenschwache Kinder einer fünften oder sechsten Klasse im Stoff häufig nur wenig weiter sind, als die Erst- und Zweitklässler. Unabhängig davon, welche Rechenoperationen zu nutzen sind – immer sind betroffene Kinder und Jugendliche zu langsam und ihre Ergebnisse hochgradig fehleranfällig.

Auch bei der Anwendung der Mathematik in lebenspraktischen Bereichen fallen die Kinder mit ihren Schwierigkeiten auf, da unser alltägliches Leben ständig von Denkprozessen und Rechnen begleitet wird. Eine Mathematikschwäche weist altersunabhängig auf vielfältige Schwierigkeiten beim Rechnen hin und zeigt unterschiedliche Auswirkungen. Wenn ein Kind bei der gerechten Verteilung von Bonbons zu wenige erhält, mag dies ärgerlich sein, doch ansonsten hat das Kind bzw. der Jugendliche keine Nachteile zu befürchten. Bemisst der Bäcker die Mehlmengen falsch, werden die Backwaren ggf. ungenießbar und die Kasse bleibt an diesem Tag leer. Wenn jedoch die Luftfahrtbehörde NASA die Treibstoffmenge falsch berechnet, kann dies im schlimmsten Fall dafür sorgen, dass Menschen von einem fernen Planeten nie wieder zurückkehren.

Auch wenn die Auswirkungen in der Schule bis auf wenige Ausnahmen i.d.R. weniger dramatisch sein werden, stellt die Rechenschwäche, auch Dyskalkulie genannt, für viele Kinder und Jugendliche häufig eine kaum zu überwindende Hürde dar. Dabei wäre es bei frühzeitiger Diagnostik und einer entsprechenden Rechenschwäche-Förderung durchaus möglich, viele Menschen von dieser Belastung zu befreien.

Eltern sind zumeist der Ansicht, dass nur ihr Kind diese Schwierigkeiten beim Rechnen habe. Deshalb vermeiden sie aus falschem Schamgefühl, mit anderen Eltern oder der Lehrkraft darüber zu sprechen. Und auch Lehrkräfte unterschätzen immer noch die Auftretenswahrscheinlichkeit. Dabei ist die Rechenschwäche annähernd so häufig wie die Lese-Rechtschreibschwäche. In etwa fünf bis acht Prozent aller Grundschulkinder gelten nach neuesten Studien als rechenschwach.

Leider wird die Rechenschwäche oft gar nicht oder erst sehr spät wahrgenommen sowie seitens der Schulbehörden viel seltener mit den notwendigen Hilfestellungen versehen.

Würden die ersten Anzeichen für die Ausbildung einer Rechenschwäche in der Kita, im Elternhaus oder in der Schule früher bemerkt, könnte gemäß des Ausspruches „Lieber früh fördern als später schlechte Zensuren zu haben“ viel – sowohl auf der fachlichen als auch auf der  psychischen Ebene – bewirkt und die Anzahl der rechenschwachen Kinder und Jugendlichen deutlich verringert werden.

Für die Entstehung von Rechenschwäche gibt es vielfältige Ursachen. Ganz grob lassen sich intrapersonale – also in der Person des Kindes liegende – und interpersonale – also im Austausch mit dem Umfeld des Kindes liegende – Ursachen unterscheiden. Diese stehen wiederum miteinander in Beziehung.

  • der Entwicklungsstand des Kindes bzw. Jugendlichen ist verzögert
  • das Kind bzw. der Jugendliche hat besondere gesundheitliche Herausforderungen, z.B. in Form einer geschwächten Hör- oder Sehleistung
  • das Kind oder der Jugendliche hat Schwierigkeiten mit der Aufmerksamkeit und Fokussierung
  • die Gedächtnisleistungen sind schwach ausgeprägt
  • das Kind bzw. der Jugendliche zeigt Schwierigkeiten beim Verständnis von neuem Fachwissen
  • es gibt eine familiäre Disposition im Hinblick auf die Rechenschwäche
  • die Familiensituation lässt keinen entspannten Umgang mit dem Lernen zu (Wohnsituation, Trennung der Eltern, Familie mit Migrations- oder bildungsfernem Hintergrund …)
  • die familiäre Situation erfordert die Mitarbeit des Kindes oder Jugendlichen z.B. im elterlichen Betrieb
  • dem Kind oder Jugendlichen fehlt jegliche Identifikationsfigur
  • „falscher“ Freundeskreis
  • die Kinder bzw. Jugendlichen wachsen in einer anregungsarmen Umgebung auf
  • der Lehrplan bietet wenig Raum für Kinder und Jugendliche, die mehr Zeit benötigen, um den angebotenen Stoff zu verstehen
  • die Klassengröße erschwert das Lernen
  • das soziale Klima in der Klasse verhindert die Konzentration auf das Lernen
  • das Unterrichtsmaterial und die Darbietung in den Arbeitsheften entsprechen in keinem Fall dem Bedarf des Betroffenen
  • die Lehrkräfte sind nicht speziell im Verständnis und Umgang mit rechenschwachen Kindern und Jugendlichen geschult
  • es wird fachfremdes Personal eingesetzt

Die Darstellung der möglichen Ursachen sind als Hinweis darauf zu verstehen, dass es viel zu einfach wäre, eine Schuldzuweisung gegenüber dem Kind bzw. Jugendlichen vorzunehmen. Diese würde lediglich dazu führen, dass sich die Situation des Kindes oder Jugendlichen mit Rechenschwäche noch mehr verschlimmert, sodass sie sich dann im sog. “Teufelskreis Lernstörungen“ befinden. Um dies so gut wie möglich zu vermeiden, ist es besonders wichtig, möglichst wertneutral mit der Situation umzugehen. Hier hilft vor allem Aufklärung und eine qualitativ hochwertige Förderung, wie wir sie mit den von uns weitergebildeten Rechenpaten durchführen.

Der “Teufelskreis Lernstörungen” ist ein Begriff, der in den 1980er und 1990er Jahren von Betz/Breuninger geprägt wurde. Er bringt zum Ausdruck, in welcher Situation sich Kinder und Jugendliche befinden, wenn sie zwar versuchen, sich den Leistungsanforderungen zu widmen, jedoch keine Erfolge erleben. Durch das Auftreten von Misserfolgen – egal aus welchem Grund – entsteht im Zusammenspiel mit den Verhaltensweisen der Umgebung häufig eine negative Entwicklung. Das Kind ist verunsichert und sein Selbstwertgefühl sinkt.

Teufelskreis Lernstörungen
Teufelskreis Lernstörungen
Nach Betz/Breuninger (1982)

Dies wird noch durch Botschaften mit einer Schuldzuweisung an das Kind bzw. den Jugendlichen verstärkt, sodass im Kind bzw. Jugendlichen die Annahme wächst, dass ‘es wohl wirklich an ihm selbst liege‘.

Besteht bereits diese negative Selbstzuschreibung, ist es nur noch ein kleiner Schritt, bis Kinder bzw. Jugendliche sich selbst als dumm und blöd bezeichnen.

Als Ausgleich zu den negativen Erfahrungen suchen Kinder und Jugendliche vielfach in anderen Bereichen nach sozialer Aufmerksamkeit, häufig durch unerwünschtes Verhalten.

Wird dieses sanktioniert, gerät das Kind regelrecht in den Strudel des “Teufelskreises“. Sanktionen werden durch weiteres auffälliges Verhalten, sozialen Rückzug oder auch Verweigerung beantwortet, wodurch sich die Schwierigkeiten, dem Unterricht folgen und mathematisches Verständnis aufbauen zu können, mehr und mehr verstärken.

Diese Situation wird häufig begleitet durch:

  • ständige Kopfschmerzen und/oder Bauchweh, vor allem wenn Arbeiten angesagt wurden oder Hausaufgaben nicht erledigt werden konnten
  • Schwierigkeiten beim Einschlafen bis hin zu Albträumen
  • vermehrte Angst vor Arbeiten oder bestimmten Rechenarten (z.B. Minus).
  • vermehrtes Auftreten von Minderwertigkeitsgefühlen
  • Versagensängste und Misserfolgserwartungen
  • Konzentrationsschwierigkeiten aufgrund einer permanenten Überforderung
  • fehlende Motivation
  • geringes Selbstbewusstsein
  • fehlende Selbstwirksamkeit (» Förderung)